Ingeborg Bachmann
Das Grabzeichen weicht erheblich von der konventionellen Grabmalgestaltung ab, und lässt sich am treffendsten als Assemblage verschiedener Objets trouves (Fundstücke) in Verbindung mit einer beschrifteten Glasplatte charakterisieren. Bei den Objets trouves selbst handelt es sich um eine geschmiedete, rostige Eisenklammer einer Schleuse, die aufrecht stehend an ein liegendes Natursteinfragment montiert ist.
Am halbrunden Bogen des Metallelements wurde eine durchsichtige Glasscheibe befestigt. Auf dieser findet sich als Inschriftentext eine zitierte Gedichtszeile von Ingeborg Bachmann. Der Inhalt des Gedichtszitats verdeutlicht den Kontext der Arbeit, die dezidiert als Totengedenken geschaffen wurde. Durch die Transparenz des Glases steht die goldene Inschrift und die Frage, was wir tun und denken angesichts eines Endes, frei im Raum.
Das spezielle bildhauerische Verfahren der Montage lässt die Bezüge des Grabmals zur Objektkunst offensichtlich werden. Als Objektkunst bezeichnet man eine Richtung der Kunst des 20. Jahrhunderts, in der alltägliche Gegenstände, die weder den Anspruch erheben, Natur abzubilden noch nachzuahmen, zusammengefügt werden und die in ihrer neuen Einheit das Kunstwerk bilden. Sowohl die äußere Form der Gegenstände als auch der frühere Verwendungszusammenhang geben oft den Anstoß zu vielfältigen Assoziationen. In ihrer neuen Zusammenstellung verdichtet sich dieser assoziative Gehalt zu einer neuen Aussage jenseits der früheren praktischen Verwendbarkeit.
Übertragen auf dieses bedeutet das, dass der Beschlag des Schleusentores als solcher zunächst sicherlich nicht erkannt wird. Er erscheint mit seinen Bolzen und Querriegeln dem Betrachter möglicherweise als Leiter mit gebrochenen Sprossen, die für einen weiteren Aufstieg nicht mehr verwendet werden kann oder als Eingang in eine andere Welt, der durch die unregelmäßig angeordneten, gefährlich spitzen Metallstäbe den Übergang in den dahinter liegenden Bereich als dramatische, beziehungsweise schmerzhafte Erfahrung darstellt.
Sollte der Betrachter den ursprünglichen Verwendungszweck der Eisenklammer entschlüsseln, zeigt sich ihm eine weitere Metapher für Leben und Tod. Denn das Metallteil kann seiner Aufgabe, ein dahinfließendes Gewässer aufzuhalten, nicht mehr nachkommen. Das Leben, das schon in der vorsokratischen Philosophie als Fluß beschrieben wird, hat diese Barriere durchbrochen.
Dass es sich durch seine Leichtigkeit und den Verzicht auf Masse fast grafisch wirkend auch formal in die Umgebung einfügt, spricht dafür, das Grabzeichen, trotz der offensichtlichen Abweichungen von Gestaltungsvorschriften, auf dem Friedhof aufzustellen.
Gerold Eppler, stellvertretender Direktor des Museums für Sepukralkultur in Kassel
Der Text stammt leicht gekürzt aus einer Stellungsnahme zur Erteilung einer Sondergenehmigung zur Errichtung des Grabmales. Die Sondergenehmigung wurde erteilt, und das Grabmal auf dem Friedhof Grenzheide in Langenhagen errichtet.